Einundzwanzigstes Kapitel: Kampfturnier 1

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Ein leichtes Frühstück später betrat ich bereits den Saal, in dem die Prüfung – das Kampfsportturnier – abgehalten werden sollte. Es war der Ort an den der Gehörnte – Cadoc – mich geschleppt hatte, um mich vor den Meister der Finsternis zu schleifen. Heute waren das Pentagramm im Boden so wie das von Säulen eingefasste Innere mit festen, ca drei Zentimeter dicken Strohmatten bedeckt.

Ich zählte die Säulen. Wie ich es mir gedacht hatte. Genau dreizehn Stück, wie man es von dem Architekten dieses Ortes erwartet hätte. Wer auch immer das Gebäude verbrochen hatte, musste an einer schlimmen Zahlen-Zwangsstörung gelitten haben.

Der Eingang zur Höhle des Meisters war durch die Matten verdeckt – aber das machte nichts aus. Ich entdeckte ihn an der gegenüberliegenden Seite des Saales bei den anderen Lehrern und einigen Hexen und Kreaturen, die ich bislang noch nie gesehen hatte. Unter anderem ein Monster mit weißen Stacheln, das bewegungs- und regungslos in der Ecke stand, sowie einen zweiköpfigen, geflügelten Jaguar. Mit übertrieben langen, kräftigen Eckzähnen, die unter seiner Oberlippe hinausragten und dem Tier fast bis zum Kiefer reichten. Drei Köpfe, sechs Eckzähne. Wow, mit diesem Viech wollte ich mich wirklich nicht anlegen.

Mein Blick glitt zurück zum Meister der Finsternis, der bei dem Gehörnten, Nelio und Arcanos stand. Wie beim letzten mal trug er einen gut sitzenden Anzug. Heute Nacht hielt er ein Weinglas in der Hand, das mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllt war. Es würde mich nicht überraschen, wenn es sich dabei nicht um Wein sondern um Blut handelte. Dieser Mann war wirklich ein Monster. Er war die eigentliche Quelle meiner prekären Situation. Mein Feind.

Doch heute Nacht würde ich seinen finsteren Plänen ein Schnippchen schlagen. Ich würde mich frei kämpfen, im wahrsten Sinne des Wortes. Frei kämpfen und frei schummeln.

Liam blieb jenseits der Schwelle bei den anderen Dämonen. Zum Abschied drückte er mir aufmunternd die Hand und ich warf ihm ein gequältes Lächeln zu. Danke für alles, lag mir auf der Zunge. Wann hatten wir uns derart einander angenähert? Es war so schleichend passiert.

Ich schluckte die Worte hinunter und ging zu den anderen Mädchen aus meiner Klasse. Die meisten wirkten ziemlich entspannt. Sie plauderten und lachten miteinander, als ob gar nichts auf dem Spiel stünde. Vielleicht stand für sie auch nichts auf dem Spiel.

Die einzige, die aussah wie ich mich fühlte, war Isabella. Ihre ohnehin helle Gesichtsfarbe war kreideweiß. Die sonst verführerisch geschwungenen Lippen presste sie zu einem blutleeren Strich zusammen. Ihre Augen waren starr auf einen Mann und eine Frau gerichtet, die drüben bei den Lehrern standen.

Ich folgte ihrem Blick. Das Paar war mir völlig unbekannt – entweder unterrichteten sie keine Hexen im ersten Lehrjahr, oder… Erkenntnis regte sich in mir und spülte über mich hinweg. Die Gesichtsform der Frau sah aus wie Isabellas. Der Ausdruck des Mannes rund um seine kalten Augen – erinnerten an Isabella. Das mussten ihre Eltern sein!

Keiner von ihnen schenkten mir oder ihrer Tochter Beachtung. Stattdessen verfolgten sie mit gelangweilten Mienen das Gespräch unter den Lehrern.

Ich wandte meinen Blick ab, bevor jemand bemerkte, wie ich die beiden gemustert hatte. Konzentration aufs Ziel! Ich sollte mir über Isabella nicht so viele Gedanken machen. Heute zählte nur, dass ich sie besiegen musste.

Ich griff in meine Hosentasche und umfasste den feinen Staub darin. So schlenderte ich zu meiner Erzfeindin, mit Staub in der Faust. Zeit aktiv zu werden.

„Alles in Ordnung mit dir?“

Isabellas wohlgeformte Augenbrauen zogen sich zusammen und erschufen eine steile Falte. Ihre harten, grünen Augen rissen sich von ihren Eltern los und richteten sich auf mich. „Was willst du?“

Näher an dich herankommen, dachte ich und zuckte mit den Schultern. Noch einen Schritt näher. „Sind das deine Eltern?“ Ich deutete mit einer knappen Kopfbewegung hinüber.

Ein abfälliger Zug bildete sich um Isabellas Mund herum. „Was geht es dich an, Menschen-Schlampe?“

Ich trat noch einen kleinen Schritt näher und stand nur noch Zentimeter von ihr entfernt. Durch unser Gespräch schien sie gar nicht zu bemerken, wie nah wir uns schon waren. Während ich sprach, ließ ich ein feines Rinnsal Staub auf ihre Schuhe regnen. „Es beeindruckt mich, dass die beiden extra her gekommen sind, um dich anzufeuern. Wird das eine Familienfeier?“

Isabella bleckte die Zähne wie ein Hund, der nach mir schnappen wollte und schubste mich von sich weg. Um ein Haar hätte ich den restlichen Staub selbst auf die Schuhe bekommen. „Lass mich in Ruhe!“ Sie wandte sich von mir ab und ließ mich stehen.

Ich unterdrückte nur mit Mühe ein Grinsen. Teil eins meines Planes war erfolgreich durchgeführt worden.

Ich ließ meinen Blick durch den Raum streifen. Meine Selbstzufriedenheit gefror zu scharfem Eis, als ich bemerkte, wie Nelio mich anstarrte. Hatte er gesehen…? Ich schluckte und wandte mich ab.

Beim Gedanken an die Betrügereien, die ich mir gestern hatte einfallen lassen, begann wieder Vorfreude in meinen Adern zu prickeln. Heute würde ich gewinnen.

Nelio löste sich aus einem Gespräch mit Arcanos und schlenderte in die Mitte der Kampfmatten. Nur die Tatsache, dass er sein linkes Bein nachzog, störte die raubtierhafte Eleganz seiner Bewegungen.

Nelio ließ seine gruseligen Reptilienaugen von einer Schülerin zur anderen zucken. Sein Blick traf mich nur für eine Sekunde, doch die reichte aus, um mich zusammenkrampfen zu lassen. Diesem Sadisten war nicht zu trauen.

„Wer mich kennt, weiß, wie wenig ich davon halte, meine Zuschauer“ – er deutete mit einer Handbewegung wage auf die Erwachsenen und die Kreaturen, die hinter ihm standen – „Mit Ansprachen zu langweilen. Daher mein einziger Ratschlag an euch Schülerinnen: Versucht wenigstens euch nicht vollends zu blamieren, um mir und den anderen keine Schande zu bereiten.“

Jetzt fühlte ich mich wirklich aufgebaut.

„Die Regeln sind klar. Es gibt nur eine und selbst eine Horde Schwachköpfe wie ihr solltet sie euch merken können: Wer nicht mehr aufsteht, verliert. In der ersten Runde muss jemand zwei mal kämpfen, da ihr zu elft seid. Das erste Duell findet zwischen Maeva und Lisandra statt.“

Leises Gemurmel erklang, während Nelio mit nicht ganz vollendeter Eleganz zurück zu den Lehrern und zu Arcanos schritt.

Schweiß breitete sich in meinen Handflächen aus und meine Lunge fühlte sich eng an. Trotz meiner Sabotagen konnte ich nicht sicher sein, wie dieser Tag ausgehen würde.

Angespannt verfolgte ich das Duell. Zuerst schlichen die beiden Kontrahenten umeinander wie Wölfe, die auf eine gute Gelegenheit warteten. Erste Angriffe wurden angedeutet. Schließlich stürzte sich Maeva mit aller Kraft und Schnelligkeit, die sie aufbringen konnte, auf ihre Gegnerin und wurde von ihr zu Boden geworfen, denn Lisandra hatte es kommen sehen und den Schwung des Angriffs umgeleitet. Sie saß jetzt rittlings auf ihr und versuchte Maeva am Boden zu halten. Doch Maeva wand sich wie eine Schlange und es gelang ihr tatsächlich sich etwas Freiheit zu erkämpfen. Lisandra wurde abgeworfen, als Maeva sich wie wild aufbäumte. Statt nun aufzuspringen, setzte diese jedoch mit einem Faustschlag mitten ins Gesicht nach. Das Brechen der Nase hörte ich bis hier. Das Geräusch drehte mir den Magen um, doch ich befahl meinem mageren Frühstück, zu bleiben wo es war.

Lisandra schlug beide Hände vor ihre gebrochene Nase. Rubinrotes Blut strömte ihr bereits übers Kinn und aufs Oberteil. Maeva war noch nicht fertig. Sie schlug noch einmal mit einem präzisen Faustschlag zu. Diesmal zu meinem Entsetzen auf die Schläfe gezielt.

Lisandra gab ein undefinierbares Geräusch von sich und erschlaffte. Tot oder ohnmächtig?

Für einen Moment sah es so aus, als ob Maeva noch weiter machen wollte, doch dann entspannte sie ihre Muskeln und den fixierenden Blick.

Sie stand auf, verneigte sich stolz vor den Erwachsenen und Monstern und reihte sich bei den Schülern ein.

Die Gespräche setzten wieder ein, doch niemand schien sich um Lisandra zu sorgen. Das ertrug ich nicht. Auch wenn ich den anderen dadurch vielleicht schwach erschien, drängelte ich mich zu den Matten vor und kniete neben der regungslosen Gestalt meiner Mitschülerin nieder.

Ich hatte nur spärliche Erste-Hilfe-Kenntnisse. Warum gab es hier keine Sanitäter? Ich versuchte den Puls zu fühlen, indem ich meine Fingerkuppen auf die Seite des blutverschmierten Halses presste. Erst fühlte ich nichts und befürchtete, dass das die völlig falsche Methode war, um den Puls zu fühlen. Dann spürte ich jedoch trotz meiner eigenen Angst ein sanftes Pochen. Süße Erleichterung durchströmte mich.

Also griff ich von hinten unter den Achseln des Mädchens hindurch und fasste einen ihrer Arme am Ellenbogen und am Handgelenk, wie ich es in meinem Erste-Hilfe-Kurs gelernt zu haben glaubte. So zog ich sie runter von den Matten und an den Rand.

Auf dem kalten Steinboden versuchte ich das Mädchen in die stabile Seitenlage zu bringen und den Kopf zu überstrecken, damit es nicht an seinem eigenen Blut, seiner Zunge oder Kotze erstickte. Aber ich zweifelte an mir selbst. Was, wenn ich einen Fehler gemacht hatte? Etwas falsch ausgeführt hatte? Etwas anderes hätte tun sollen? Ich hatte keine Heilzauber nachgeschlagen.

Unsicher sah ich auf und bemerkte, dass die meisten Blicke nun auf mich gerichtet waren. Verächtliche Blicke. Klar, ich war der schwache Mensch, der Mitleid hatte. Das hatte ich gerade bewiesen. Allerdings zeigte es weniger, dass ich etwas falsch gemacht hätte, sondern mehr, dass die anderen skrupellose Arschlöcher waren.

Zu meiner Überraschung kam Ylva die Giftmischerin auf mich zu. Trotz ihres Alters bewegte sich die klapprige Hexe selbstbewusst. Sie blieb vor uns stehen und kniete nieder, wobei irgendetwas in ihrem Körper bedenklich knackte.

Ihre unergründlichen Augen ruhten für einen Moment auf mir und sie nickte mir zu, als wollte sie mir Anerkennung schenken. Dann sah sie auf die Verwundete hinunter und betastete ihren Schädel und ihr Gesicht, ehe sie Kreide zückte und ein Symbol auf Lisandras Wange malte.

Meine Erleichterung schwappte über mir zusammen wie warmes Badewasser. Lisandra würde heute nicht sterben. Die Giftmischerin würde sie durch ihre Magie stabilisieren und heilen. Ylva runzelte kaum merklich konzentriert die Stirn. Ich betrachtete die alte Frau und versuchte ihren Begleiter ausfindig zu machen. Handelte es sich um eines der Monster dort drüben? Nein, das passte nicht zu ihr… Da bemerkte ich ein kleines Köpfchen mit großen, dunklen Augen, das aus dem Kragen ihres Kleides zu mir herausblinzelte. Dieser Dämon war winzig! Sein fellbedeckter Kopf war nur so groß wie mein Daumen. Das Tier starrte mich lange an und grinste dann, wobei es spitze, blutrote Zähne entblößte.

Irritiert wandte ich mich ab. Ylva beendete ihren Zauber – das Symbol leuchtete violett auf und verblasste zu Kratzern, als sich mit einem ekelerregenden Knirschen die Knochen der Nase unter der blutverschmierten Haut verschoben. Ein Schauder durchlief mich. Ein neuer Schwall Blut floss. Doch das Ergebnis war eine gerichtete Nase, die aussah als hätte keine Faust sie je zermalmt. Wenn man von dem Blut einmal absah.

„Und ihr Kopf? Maeva hat sie an der Schläfe getroffenn.“

„Es ist nicht passiert. In ein paar Stunden wird sie mit Kopfschmerzen aufwachen, aber gesund sein.“

Erleichtert lehnte ich mich zurück und setzte mich auf den kalten Steinboden. Keine weiteren Toten heute, das war alles, was ich verlangte. Gut, jetzt belog ich mich selbst. Natürlich sehnte ich mich nach einem weitaus egoistischeren Ziel: Diesen Wettkampf zu gewinnen. Aber nicht um jeden Preis.

Idas und Mares Tod saß mir immer noch in den Knochen und suchte mich zu den unpassendsten Zeiten heim. Wieso es die Hexenfamilien und Monster nicht kümmerte, ob wir Schülerinnen starben, war mir völlig unbegreiflich.

Nelio machte meinen leidenschaftlichen Überlegungen ein Ende, indem er wieder vortrat und die nächsten Duellanten verkündete.

Wieder verlief der Kampf zwischen zweien meiner Mitschülerinnen rücksichtslos, aber mit einem weniger dramatischen Ende. Viviane fixierte ihre Gegnerin am Boden, bis der Lehrer einen Countdown herunterzählte und an dessen Ende Vivianes Sieg verkündete.

Die Besiegte rappelte sich ächzend hoch. Schmerz und Scham rangen in ihrer Mimik um die Vorherrschaft. Ihr linker Arm hing schlaff herunter und sie humpelte vom Kampfplatz, wobei es schien als würde jeder Schritt sie quälen.

Viviane hingegen leuchtete vor Stolz und hatte keinen Blick für ihre Kontrahentin übrig, obwohl die beiden im bisherigen Halbjahr immer freundschaftlich miteinander umgegangen waren.

In diesem Stil gingen die anderen Kämpfe weiter. Samara gewann. Isabella gewann. Und dann war ich an der Reihe.

Meine Gegnerin hieß Fiona. Die Matten waren jetzt an mehreren Stellen von mehr oder weniger geronnenem Blut bedeckt und boten einen schwierigen Untergrund. Meine eigenen Ratschläge hallten in meinem Kopf wider: Es gibt nur eine Regel, die ich beachten muss. Wer nicht mehr aufsteht, verliert. Ich muss nur dafür sorgen, dass nicht ich diejenige bin.

Fiona musterte mich. Sie war keine besonders gute Kämpferin – aber besser als ich allemal. Das wusste sie. Ein Grinsen breitete sich langsam auf ihrem Gesicht aus.

Die würde sich noch wundern. Das einzig Blöde war, dass ich meinen größten Vorteil bereits enthüllen musste. Meine zukünftigen Gegnerinnen würden es sehen. Isabella würde es sehen.

Fiona kam bereits auf mich zu. Ich konzentrierte mich auf die Zeichnungen auf meinem Körper und aktivierte sie per Gedankenbefehl. Ich spürte wie Liams Magie durch mich hindurchströmte und sich an den Zeichnungen festbrannte. Gewaltige Mengen von Chaosenergie. Fiona zögerte und ihr siegesgewisses Grinsen wich Misstrauen.

Ihr Zögern schenkte mir die nötige Zeit.

Ein kurzes Brennen erstrahlte auf meinen Oberarmen, Handgelenken und Oberschenkeln, gefolgt von einem intensiven Prickeln.

Wenn meine Mitschülerinnen mächtigere Begleiter gehabt hätten, hätte jede einzelne diese Zauber verwendet. Aber schließlich war ich die einzige gewesen, die es riskiert hatte und das hätte mich das Leben gekostet, wenn Liam nicht zu nett wäre, um mich zu fressen. Unverschämtes Glück. Jetzt zahlte sich meine Waghalsigkeit aus.

Fiona erreichte mich und griff an. Sie hielt sich nicht mit Vorgeplänkel auf, sondern wollte mich so schnell wie möglich mit einem Faustschlag außer Gefecht setzen. Normalerweise wäre ihr das gelungen, weil ich zu langsam gewesen wäre, um zu blocken oder auszuweichen. Normalerweise. Jetzt konnte ich mich rechtzeitig zur Seite drehen, erschreckte fast über meine eigene Schnelligkeit und verlor um ein Haar das Gleichgewicht. Doch es gelang mir in der Bewegung Fiona an Arm und Schulter zu packen, um ihrer Angriffsbewegung zusätzlichen Schwung zu verleihen.

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