Spontane Geschichte

„Ich habe diese Gabe jemanden in eine andere Welt zu entführen.“
Sie lächelt, weil sie denkt, ich meine es metaphorisch.
Ich lächle scheinheilig zurück.

Mein Blick streift über sie. Sie ist hübsch. Sie ist mein Typ. Ich werde sie mitnehmen. In den nächsten Tagen wird sie mir gehören und da wird niemand anderes sein, an den sie sich wenden könnte.

Dieser Morgen ist schon furchtbar, bevor ich die Augen aufgezwungen habe. Mein Kopf dröhnt, mein Mund ist trocken, meine Glieder steif. Ich werde zu alt für Dates und Alkohol. Wobei der Drang sich mir die Männer schön zu trinken nur allzu verständlich ist, wenn man mit dreißig nochmal neu anfängt, nachdem ein scheinbar perfekter Mann… Nun ja.
Endlich schaffe ich es die verkrusteten Augen aufzumachen. Ich bin so mit Selbstmitleid und meinen körperlichen Wehwehchen beschäftigt, dass es mir zunächst gar nicht auffällt. Ich richte mich stöhnend auf, blinzle, halte mir den Kopf, stelle die nackten Füße auf kalten Holzboden… Moment! Erst da fällt der Groschen. Kalter Holzboden??? Wo bin ich?
Mit einem Mal ist die Müdigkeit weg und alle Wehwehchen treten in den Hintergrund, während ich das fremde Zimmer scanne. Es sieht aus wie eine Ferienwohnung, aber ich bin mir sicher, dass ich diesen Ort noch nie gesehen habe. Dabei bin ich doch gestern allein nach Hause… Oder? Oder??? Plötzlich bin ich mir unsicher. Sind meine Erinnerungen an gestern falsch? Bin ich mit diesem unheimlichen Charmeur zu ihm…? So bedürftig kann ich doch gar nicht gewesen sein. Er war zwar nicht unansehnlich, aber irgendwas an seiner Art hat mir fast schon Angst gemacht. Ein albernes, unbegründbares Bauchgefühl. Und jetzt war ich hier.
Oh nein. Bitte, betrunkene Vergangenheits-Mirja. Hab das bitte nicht getan. Ich zweifle meine Erinnerungen an meinen Heimweg zu mir bereits an. Es ist so viel logischer, dass ich betrunken und untervögelt alle Bedenken über Bord geworfen habe und zu ihm… Ich muss hier raus.
Endlich springe ich auf – meine Kleidung von gestern habe ich noch an, bis auf die Schuhe – sehr merkwürdig. Ich schlüpfe in meine Schuhe und öffne leise die Zimmertür. Ein fremder Flur. Ich warte. Lausche. Niemand da. Dann schleiche ich durch den Flur, auf der Suche nach… Der Anblick der bodentiefen Wohnzimmerfenster lässt mich erstarren. Da draußen ist Sand und… Harte Gräser, knorrige Sträucher… Es sieht nicht unbedingt nach München aus. Was zum…?
Da entdecke ich die Wohnungstür und verlasse das kleine Häuschen. Draußen ist es windig, es riecht nach Salz und irgendwo kreischen Möwen… Heilige Scheiße, was ist denn jetzt los?! Wo bin ich? Wie bin ich her gekommen?
Gestern war ich in München auf einem Date. Da bin ich ganz sicher. Und heute…?

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