Diebstahl und Meinungsumschwünge
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Tipp: Finde alle Kapitel über das Schlagwort „Nora’s Halloween“ – x
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In der nächsten Nacht tauchte Liam tatsächlich zur ersten Unterrichtsstunde auf. Er saß auf einem Fensterrahmen in Giftmischen und las ein Taschenbuch. Ich hatte es geschafft, gestern noch die Abhandlung über Fliegenpilze zu schreiben und mir fünf lateinische Namen von Giftpflanzen herauszusuchen und zu merken.
Danach blieb Liam Logik und Kreatives an meiner Seite und ich konnte ihn sogar überreden mich danach in meine Schlafkammer zu begleiten, um den Fensterrahmenzauber zu aktivieren. Wie bei meinem ersten Zauber – der Beschwörung von Liam – konzentrierte ich mich auf die Zeichnung und die Wirkung und es war, als würde etwas tief in mir drin darauf antworten, bevor mein Geist in meiner Umgebung suchte und ein Wirbel aus schwarzem Rauch von Liam ausströmte und in die Zeichnung im Fensterrahmen eindrang. Kaum war das geschafft verließ mein Halbdämon mich und ich traf mich mit Wolf und Theresia. Wolf war zunächst schüchtern, taute aber allmählich auf. Er war ein guter Lehrer, fand heraus was ich konnte – gar nichts – und zeigte mir Grundbewegungen für Zuschlagen, Treten und Ausweichen. Was Theresia für eine Schummelei im Sinn hatte, wollte sie mir noch immer nicht sagen. Aber wir suchten gemeinsam nach Büchern über Gifte und Beschwörungen und es fühlte sich an, als könnten wir so etwas wie Freunde werden.
Die Tage und Nächte verstrichen, ein Rythmus etablierte sich. Nach dem Unterricht ging Theresia mit mir in die Bibliothek. Wolf versuchte, mir Kampftechniken beizubringen. Das Problem war nur, dass ich weder die nötige Kraft, noch Schnelligkeit, noch Ausdauer mitbrachte.
„Du musst einfach mal anfangen deinem Instinkt zu vertrauen!“, sagte er einmal zu mir. Der sonst so ruhige Junge hatte inzwischen ein hohes Frustrationslevel erreicht. Gleichzeitig wirkte er viel selbstbewusster. Von der extremen Schüchternheit war nichts mehr zu spüren.
„Du musst einfach mal anfangen, deinem Instinkt zu vertrauen!“, sagte er einmal zu mir. Der sonst so ruhige Junge hatte inzwischen ein hohes Frustrationslevel erreicht. Gleichzeitig wirkte er viel selbstbewusster. Von der extremen Schüchternheit war nichts mehr zu spüren.
„Meine Instinkte sagen mir, dass ich weglaufen sollte oder versuchen darüber zu reden.“
Er knurrte frustriert. „Reden ist kein Instinkt. Menschen sind auch Raubtiere. In dir schlummert etwas, das bereit ist zu töten und zu verletzen. Lass es frei!“
Ich schauderte bei diesem Gedanken. „Falls das so ist, dann will ich es lieber gar nicht erst finden.“
Er bleckte die Zähne. Seine Eckzähne waren ein bisschen zu lang und spitz und erinnerten mich an seine Wolfgestalt. Ein Knurren stieg in ihm auf. Animalisch. Das war die einzige Warnung, die ich bekam, ehe er auf mich zu sprang. Seine Hände trafen auf meine Schultern, sein Gewicht riss mich aus dem Gleichgewicht.
Ich fiel nach hinten und prallte auf dem Mattenboden auf. Die Erschütterung spürte ich bis in die Knochen. Normalerweise hörte Wolf jetzt auf und ließ mich aufstehen. Aber heute nicht. Er drückte mich weiterhin zu Boden und versuchte mir mit bloßen Zähnen die Kehle herauszureißen.
Panisch schlug ich nach seinem Kopf – und traf. Was mir die nötige Sekunde verschaffte, um meine Schultern unter seinen Händen herauszuwinden. Ich stemmte mich gegen seinen Brustkorb und versuchte ihn von mir herunter zu schieben, doch er war zu schwer und zu stark. Wieder wollte er nach mir beißen und ich bewegte mich, ohne nachzudenken. Beim Boxen, Treten und Winden landete ich einige Treffer.
Schließlich rollte Wolf sich von mir herunter. Er gab glucksende Geräusche von sich. War er verletzt? Da bemerkte ich, dass er lachte. Der Mistkerl lachte über mich! „Du hast so ungefähr die Finesse eines um sich schlagenden Walrosses… Aber immerhin schlummert auch in dir ein Raubtier.“
Statt eine Antwort boxte ich ihn hart auf die Schulter, was ihn aber nicht sonderlich aus der Fassung brachte. Er lachte höchstens noch lauter, was ich energisch übertönte: „Zwischendurch hatte ich tatsächlich den Eindruck du wolltest mich töten.“
„Ich war vielleicht ein klitzekleines bisschen in Versuchung.“ Das hätte ein Scherz sein können, aber irgendetwas an der Art wie Wolf dabei den Blick abwandte, sagte mir, dass auch Wahrheit in den Worten steckte.
Zeit für einen Themenwechsel. „Du bist gar nicht mehr so schüchtern wie am Anfang.“
„Stimmt. Dich zu trainieren erinnert mich an meine Stärken und ans Menschsein.“ Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung.
„Vielleicht an die Stärke kein Mensch zu sein.“
Er schüttelte den Kopf. „Da irrst du dich.“ Er rappelte sich auf und bot mir seine krallenbewehrte Hand an, um mir aufzuhelfen. „Keine Zeit zum Faulenzen. Wir müssen deine Reflexe schulen.“
„Ich kann nicht mehr. Dieses ganze Lernen und Trainieren macht fertig.“
„Ich dachte du wolltest unbedingt von hier weg. Und dafür musst du deine Wette gewinnen.“
„Was tut man nicht alles um frei zu sein.“ Ich seufzte.
Er runzelte die Stirn und sah mich streng an. „Freiheit ist nicht nur eine Frage der äußeren Umstände. Du musst deine innere Haltung ändern, sonst wirst du dein Leben lang von anderen kontrolliert werden.“
„Hör auf mit Weisheiten um dich zu werfen. Nachher wird noch jemand getroffen und bekommt einen langen weißen Bart.“
Dafür erntete ich nur ein Augenrollen. „Wie du willst. Dann fahren wir mit dem Training fort. Ich glaube du machst Fortschritte.“
„Tatsächlich?“
Er grinste wölfisch. „Nein. Aber noch gebe ich nicht auf.“
„Das können wir doch nicht tun!“, zischte ich Theresia zu, die mit einem riesigen Schlüsselbund vor Isabellas Schlafkammer stand und einen Schlüssel nach dem anderen ausprobierte.
„Willst du nun besser sein als sie oder nicht? Die Klausur ist schon nächste Woche und ich wette mit dir, dass ihre Aufzeichnungen und Bücher über Sieg und Niederlage entscheiden werden.“
„Ich habe trotzdem kein gutes Gefühl dabei, bei ihr einzubrechen und ihre Sachen zu stehlen. Was ist, wenn wir erwischt werden?“
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Sei kein Feigling!“ Endlich hatte sie den richtigen Schlüssel gefunden. Das Schloss klackte und Theresia öffnete die hölzerne Tür. Wir huschten hinein und machten hinter uns zu.
Die Kammer selbst war wesentlich komfortabler eingerichtet als meine. Sie war etwa doppelt so groß. Auf dem Steinboden lag ein dicker, blutroter Teppich. Das Bett sah neu aus. Ein Gestell aus schwarzlackierten Metallstreben, die sich kunstvoll umeinander wanden. Auf einer hohen Matratze lag eine Daunendecke im Satinbezug.
Im Gegensatz zu meiner Schlafkammer herrschten hier drin auch keine herbstlichen Temperaturen. Die Luft war angenehm warm und roch frisch nach Orange und Zimt. Es war noch nicht einmal dunkel. Bei unserem Eintreten hatte sich ein Kerzenhalter in der Wand selbst entzündet und spendete tanzendes, oranges Licht.
„Wieso lebt sie hier wie eine Prinzessin und ich wurde in einer Besenkammer untergebracht?“ Selbst ich hörte den Neid in meiner Stimme deutlich heraus.
„Weil sie eine Schattentraum ist. Sie stammt aus einer Familie, die so mächtig ist, dass sie immer und überall respektiert wird. Sogar hier.“
„Und ich bin ein niemand. Der Meister der Finsternis – Leviathan – hat behauptet ich sei ein Wechselbalg. Aber wenn das so wäre – wer sind dann meine leiblichen Eltern?“
„Da bin ich mir selbst nicht sicher. Du musst die Angehörige einer Hexenfamilie sein. Zwar könnte theoretisch jeder zur Hexe werden, aber der Meister der Finsternis ist ein Traditionalist. Wenn du wirklich nur ein Mensch wärst, hätte er dich wahrscheinlich nach deinem Fluchtversuch sofort exekutiert und sich Ersatz geholt.“
„Charmant. Jeder kann zur Hexe werden?“
„Die großen Hexenfamilien sterben allmählich aus. Du bist die erste, die gegen ihren Willen hierhergekommen ist und zuvor keine Ahnung von der Schattenwelt hatte. Aber ich bin mir sicher, dass du nicht die letzte sein wirst.“
Kälte breitete sich in meinem Magen aus. Niemand sollte dasselbe Schicksal erleiden wie ich. Die Vorstellung dass ich in irgendeiner Hinsicht ein Abkömmling einer Hexenfamilie war, gefiel mir gar nicht.
Theresia öffnete den Kleiderschrank und begann zu suchen. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Geschwätz. Hilf mir! So sind wir fort, ehe jemand etwas bemerkt.“
Ich kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Glaubst du, sie bewahrt ihre Notizen in ihrem Kleiderschrank auf?“
Sie ließ sich von mir nicht aufhalten. „Womöglich habe ich ein paar besondere Überraschungen vorbereitet.“
„Was hast du vor? Ich will keinen Ärger bekommen.“ Sobald der Satz heraus war, war mir klar wie lächerlich das war. Ich war gerade eingebrochen, um jemandes Notizen zu stehlen. Wenn man herausfand, dass ich es gewesen war, würde ich so oder so einen riesigen Ärger kriegen.
„Nur eine Revange. Diese Göre hat seit ihrer Ankunft im Schloss einige male versucht mich zu töten und mir eine Menge Streiche gespielt. Unter anderem hat sie mir Tollpatschigkeitszauber auf die Knochen geklebt. Du kannst dir nicht ausmalen, wie schwer es war, die abzulösen! Diesen verdammten Zauber kann sie gerne zurückhaben!“ Theresia öffnete die Naht eines Kleides und schob ein Tuch in die Fütterung von Isabellas Kleid. Anschließend nähte sie den Stoff wieder zusammen.
Entsetzen krampfte sich in meiner Luftröhre zusammen. „Zum Glück ist dir nichts passiert! Wieso hast du niemandem etwas davon gesagt?“
Theresias Augenhöhlen bekamen einen roten Schein. „Weil ich nicht sterben kann. Infolgedessen sehen die Lehrer kein Problem darin.“
Ich erinnerte mich dunkel daran, dass Samara mal erwähnt hatte, dass Theresia nicht sterben konnte. Das Skelett wandte mir den Kopf zu. Ihre Augenhöhlen schimmerten rot. „Spar dir dein Mitleid. Beginn lieber deine Suche! Unsere Zeit ist begrenzt.“
Ich ging zum Schreibtisch und öffnete die Schubladen. Stapelweise Papier lag darin, eng beschrieben in einer sauberen Handschrift. Ich nahm es und steckte es in den Beutel, den ich um meine Schulter geschlungen hatte.
Als ich den Blick wieder hob, blieb mir fast das Herz stehen. In der Schublade lag ein Handy! Ich dachte die wären streng verboten!
Mit zitternden Händen griff ich danach und schaltete das Display ein. Mit einem Muster gesperrt. Ich hob das Handy hoch und hielt es so, dass das Licht spiegelte. Tatsächlich war eine deutliche Spur von Fingerfett zu sehen. Manchmal hatte man so viel Glück, dass man auf diese Weise das Entsperrmuster sehen konnte.
Ich probierte es aus. Im letzten Moment hielt ich einen Triumphschrei zurück. Vor Aufregung und Freude rauschte mir das Blut in den Ohren. Endlich hatte ich eine Verbindung zur Außenwelt!
Ich benutzte den Messenger und schrieb meinen Eltern eine Nachricht.
Macht euch keine Sorgen, ich bin am Leben und unversehrt. Ich werde wahrscheinlich noch einige Zeit verschwunden sein, aber ich komme so schnell zurück wie möglich. Euer Käse-Monster.
Mit sieben hatte meine Mutter mir diesen Spitznamen gegeben, nachdem ich eine ganze Packung Scheibenkäse heimlich gegessen hatte. Somit war es ein Insiderwitz, durch den meine Eltern hoffentlich erkannten, dass ich die Nachricht selbst geschrieben hatte. Sofort schickte ich die Nachricht ab.
Was sollte ich jetzt mit dem Handy machen? Könnten meine Eltern in Gefahr geraten, wenn Leviathan erfuhr, dass ich Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte?
Vielleicht hätte ich länger darüber nachdenken sollen. Aber die Gelegenheit war einzigartig gewesen. So kostbar!
Ich schaltete das Handy aus und steckte es in meine Tasche. Bei der nächsten Gelegenheit musste ich es im See versenken. Niemand würde davon erfahren, was ich getan hatte. Ich sah mich zu Theresia um. Sie schien nichts bemerkt zu haben. Gerade war sie dabei ein weißes Pulver in eine Shampooflasche zu füllen.
Ich suchte weiter, als wäre nichts gewesen, und entdeckte eine Menge Bücher und Notizen, die ich einstecken konnte. So viel konnte Isabella nie und nimmer in der bisherigen Schulzeit aufgeschrieben haben. Ein Teil davon musste aus ihrer Zeit vor dem Schloss stammen. Dieser Wettkampf war so unendlich ungerecht! Mir blieb eigentlich nichts anderes übrig, als mit unfairen Mitteln zu kämpfen.
In wenigen Minuten hatten Theresia und ich unseren Raub- und Rachefeldzug beendet und verließen die Kammer. Meine Freundin schloss die Tür wieder ab und wir eilten in meine Kammer, so schnell wir konnten.
Als wir dort ankamen, lag Liam auf meinem Bett. Bei unserem Erscheinen richtete er sich auf. Er musterte uns misstrauisch aus sturmgrauen Augen und schwang die Beine über die Bettkante. „Wo wart ihr?“
Ohne darüber nachzudenken, legte ich eine schützende Hand auf meinen Beutel. „Was machst du denn hier?“
Zu dritt war es in dieser Kammer wirklich viel viel viel zu eng.
Liam sah zwischen mir und Theresia hin und her. „Wo kommt ihr her? Ihr seht aus, als hättet ihr etwas ausgefressen.“
Ärger stieg in mir auf. „Kannst du nicht einfach mal eine Frage beantworten?“
„Ich bin dein Begleiter, das heißt es ist mein Job dich zu begleiten.“
Das ist mir aber ganz was Neues. Ich spürte, wie sich Wut entzündete, tief in meinem Bauch.
Theresia stellte ihren Beutel ab und klopfte mir auf die Schulter. „Melde dich bei mir, wenn ihr euren Ehestreit beendet habt.“ Sie quetschte sich an mir vorbei nach draußen und zog die massive Holztür hinter sich ins Schloss. Das Geräusch hatte etwas schrecklich Endgültiges.
„Was meint sie damit? Was hast du ihr erzählt?“ Angst flackerte in seinem Blick.
Ich verdrehte die Augen. „Gar nichts. Also seit wann interessiert es dich, was als Begleiter dein Job ist und was nicht?“
Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht. „Vielleicht habe ich bislang den einen oder anderen Fehler gemacht. Eigentlich bin ich hergekommen, um mich zu entschuldigen.“
Vor Überraschung wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte.
„Es tut mir leid, dass ich dich geküsst habe. Es war dumm und es hatte nichts zu bedeuten. So etwas darf nie wieder vorkommen.“
Aua. Mein Herz sackte in meiner Brust mehrere Zentimeter nach unten. Das war mein erster Kuss gewesen. Doch ich brachte nicht den Mut auf Fragen zu stellen.
Also nickte ich nur und Liam entspannte sich sichtlich. „Jetzt wo wir das endlich geklärt haben, werde ich meinen Pflichten besser nachkommen“, versprach er.
Ich legte den Beutel auf den Tisch. „Du warst doch beim Unterricht. Wegen mir musst du deine Freizeit nicht opfern.“
„Ich habe gesehen, wie du nach dem Unterricht mit Wolf und Theresia geübt hast. Ein echter Begleiter wäre bei dir gewesen.“
Momentan war ich mir nicht sicher, ob ich das überhaupt noch wollte, aber diese Worte hielt ich zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie weit ich Liam vertrauen konnte. Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass ich Isabellas Sachen gestohlen hatte? „Mach dir keine Mühe. Ich komme wirklich sehr gut alleine zurecht.“
Liam lehnte sich zurück und machte es sich auf meinem Bett bequem. „Wir wissen beide, dass du nicht zaubern kannst, wenn ich nicht bei dir bin. Das macht dich angreifbar.“
„Das ist wirklich nicht nötig. Ich gehe jetzt in die Bibliothek und werde hunderte von langweiligen Büchern lesen. Du kannst in der Zeit ruhig woanders hingehen.“ Der Gedanke daran in Zukunft nichts mehr vor Liam geheim halten zu können, ängstigte mich.
Er grinste mir zu. Dabei erschien ein kleines Grübchen in seinem Gesicht, von dem ich wünschte, ich hätte es nie bemerkt. „Schon gut. Ich werde meine Versäumnisse nachholen.“
„Leidest du an einer gespaltenen Persönlichkeit oder so?“ Was sollte ich jetzt mit den gestohlenen Sachen tun? Es wäre fahrlässig, sie mit mir herumzuschleppen, falls Isabella mir auflauerte. Aber wo konnte ich sie verstecken? Kein Ort erschien sicher genug, jetzt wo Liam mein Leben infiltrierte.
„Nein. Ich habe nur festgestellt, wie angreifbar du ohne meine Chaosenergie bist. Wenn du drauf gehst, will ich nicht schuld daran sein.“
Prüfend betrachtete ich meinen Begleiter. Die Gefahr war nicht größer geworden. Wieso spielte er sich jetzt so auf? Ich zuckte mit den Schultern, was so viel heißen sollte wie ‚Na schön, von mir aus.‘ Was hätte ich auch einwenden sollen?
Wortlos wandte ich mich meinem Kleiderschrank zu, öffnete ihn und ließ meinen Blick über die vielen schwarzen Kleider wandern. Es gab kaum Platz darin, um etwas zu verstecken.
Ich fühlte Liams Blick auf mir brennen. Das ignorierend, kniete ich mich auf den Boden und tastete unter und hinter den Kleidern, die nebeneinander hingen. Vielleicht konnte ich die Beutel unter der Stoffmasse ganz hinten verstecken?
Würde Isabella sich denken können, wer bei ihr eingebrochen war? Ich platzierte den Beutel, in dem all die gestohlenen Unterlagen und Notizen steckten, und schloss die Tür.
„Was machst du da?“
Was würde Jesse tun? „Das ist schickere Unterwäsche, die hier eigentlich nicht erlaubt ist. Du hast ja keine Ahnung, wie kratzig die Unterhosen sind, die die Schule uns zur Verfügung stellt.“ Ich warf einen Blick über die Schulter und fühlte, dass mein Gesicht heiß wurde. Leider war ich nicht wirklich so kaltschnäuzig wie Jesse. Oh Gott, was hatte ich da gerade von mir gegeben?
Liam sah nicht so aus, als ob er mir glaubte. Aber er fragte nicht weiter nach.
Ich räusperte mich. „Naja, ähm… dann gehen wir mal in diese wahnsinnig langweilige Bibliothek und lesen stundenlang öde Bücher…“ Hoffend, dass Liam einen Rückzieher machte – doch leider tat er mir den Gefallen nicht. Er sah mich stattdessen lediglich so an, als sei ich nicht mehr ganz dicht und ließ mir mit einer Handbewegung den Vortritt. Mist.
Wir verließen die Schlafkammer und ich nutzte die Gelegenheit, um einen Zauber zu testen. Ein Schließzauber, der sich auf ein bestimmtes Wort hin öffnen ließ. Mit der Kreide aus der Tasche meines Kleides zeichnete ich den Zauber auf die geschlossene Tür. Anschließend aktivierte ich den Zauber per Gedankenbefehl und erkor ‚Sesam‘ zum Schlüsselwort aus.
Zum zweiten Mal sah und fühlte ich Liams Magie in Aktion, denn Theresia hatte mir diesen Zauber nur theoretisch beigebracht. Meine Zeichnung leuchtete silbrig auf und erlosch dann zu einer Gravur im Holz. Stolz loderte in meiner Brust. Ich sah zu Liam, ob er angemessen beeindruckt war, aber er sah nicht mal hin, sondern starrte in Gedanken versunken ins Nichts.
Ich wollte vorgehen, aber einer seiner Flügel war mir im Weg. Die beengte Wendeltreppe bot kaum Platz für zwei Personen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich an ihm vorbeizuquetschen. Seinen Geruch und die Wärme ignorierte ich und lief mit großen Schritten nach unten. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend.
Auf dem Weg zur Bibliothek verlief ich mich zweimal, aber Liam bot nicht an mir zu helfen, sondern folgte mir schweigend. Wie ein Schatten, der mich beobachtete.
Schließlich fand ich den Raum. Beim Betreten schlug mir der bekannte Geruch tausender Bücher entgegen. Früher hatte ich diesen Duft geliebt, als ich in der Bücherei oder der Buchhandlung nach dem nächsten Roman gesucht hatte, den ich lesen konnte. Mittlerweile war das anders. Der Geruch stand für Lernen. Für meinen Kampf gegen die Zeit, im Versuch die Wette zu gewinnen. Allein der Gedanke daran bereitete mir Kopfschmerzen.
Heute entschied ich mich für ein Buch mit dem Titel „Begleiter bändigen“. Liam schenkte mir keine Beachtung. Er lehnte gegen eine Fensterbank und beobachtete Isabella, die mit drei weiteren Mädchen an einem der Fenster saß und sich mit ihnen unterhielt. Bildete ich mir das ein oder lag da eine Art Bewunderung in seinen sturmgrauen Augen?
Ich zwang meinen Blick auf die Buchseiten vor mir. Ich musste gegen Isabella gewinnen. Da blieb sowieso keine Zeit für Ablenkungen.
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Ein Kommentar zu „Vierzehntes Kapitel:“