Wenn Jesse gewusst hätte, dass ihre Bemühungen darin enden würden, dass ich vom Fenstersims im zweiten Stock baumelte, hätte sie Folgendes nie gesagt:
„Klar bist du süß. Nur… Sehr brav eben. Ich meine – wenn ich dich frage, ob du mit mir auf eine Party gehst, dann antwortest du: ‚Ich kann nicht. Meine Eltern erlauben mir das nie.‘ “
„Es ist ja keine normale Party.“
„Du hast das auch bei den letzten Partys gesagt, zu denen ich dich mitnehmen wollte. Und die waren normal.“
Da hatte sie irgendwie Recht. Ich rührte in meiner heißen Schokolade und starrte den Milchschaum böse an.
„Hör mal, ich sage das nur, weil ich deine beste Freundin bin – du musst wirklich mal anfangen Regeln zu brechen.“
„Für dich sagt sich das so leicht! Deine Eltern erlauben dir einfach alles!“
„Und was sie mir nicht erlauben, kriegen sie auch nicht mit.“ Jesse zwinkerte und trank von ihrem Cappuccino.
Ich bewunderte sie sehr. Sie war tausend mal cooler als ich. Jeder wusste, wer Jesse war und hatte eine Meinung zu ihr. Wenn man die Leute nach mir fragte, sagten sie lediglich: ‚Nora? Wer ist Nora?‘
„Hab ich da was im Gesicht?“ Jesse fuhr sich vorsichtig über ihre geschminkten Lippen.
Ich schüttelte den Kopf. „War nur in Gedanken.“
„Es ist wirklich unheimlich, wenn du die Leute so anstarrst. Nichts für ungut. Aber zurück zum Thema: Kommst du heute Nacht mal aus deinem Elternknast raus? Oder verkriechst du dich lieber unter Schulbüchern und machst um acht das Licht aus?“
Jesse brachte immer eine andere Art von Nora in mir zum Vorschein. Die Nora, deren Existenz von mir und meinen Eltern normalerweise erfolgreich verdrängt wurde. Die Nora, die etwas verändern wollte. „Wir werden sehen“, versprach ich wage, aber Jesse grinste. Sie wusste, dass sie mich am Harken hatte.
Langsam ließ ich mich vom Fenstersims des zweiten Stocks gleiten, bis meine Füße frei in der eisigen Herbstluft baumelten. Nur meine vor Schmerz pochenden Hände bewahrten mich vor dem Absturz. Wie sollte ich noch gleich die Regenrinne erreichen? Mit den Füßen tastete ich danach und fand … nichts. Panik kroch mir durch den Körper und breitete sich giftig aus. Nein! Logisch denken!
Erneut tastete ich mit den Füßen nach der Regenrinne. Wieder nichts.
Meine Schultern brannten, meine Hände schwitzten. Die Panik wurde lauter. Okay, so wurde das nichts. Rückzug!
Ein Zittern lief durch meine Arme und Schultern. Ich versuchte mich wieder hoch zu stemmen, wobei mir einer der Schuhe von den Füßen rutschte und in die Tiefe stürzte. Scheiße, scheiße, scheiße! Wieso hatte ich mich nur überreden lassen? Mit aller Kraft, die ich aufbieten konnte – besonders viel davon hatte ich nicht – versuchte ich hoch zu kommen. Aber es ging nicht. Meine Arme und Schultern brannten, doch mein Körper hing weiter wie ein Sack vom Fensterbrett. Ich hatte einfach nicht genug Kraft.
Tränen schossen mir in die Augen, aber ich blinzelte dagegen an. Logik war das einzige, das mich retten würde. Ich musste zurück in mein Zimmer. Oder um Hilfe schreien.
Ein letztes mal mobilisierte ich meine Kraftreserven. Meine Hände und Arme brannten und der Schweiß zwischen Fingern und Fensterbrett wurde allmählich gefährlich. Aber immerhin gewann ich ein paar Zentimeter an Höhe. Ich konnte das schaffen! Fast konnte ich schon in mein Zimmer schauen. Noch ein Stück weiter. Da rutschte meine linke Hand ab und ich brach weg. Der Ruck, der durch meinen rechten Arm lief, kugelte mir fast die Schulter aus und riss auch meine rechte Hand vom Fensterbrett los.
Ich stürzte im freien Fall zu Boden. Schrie. Schlug um mich. In einer Millisekunde zog mein ganzes bisheriges Leben an meinem inneren Auge vorbei: Ein Leben als überbehütetes Einzelkind. Wie meine Eltern mich kontrolliert hatten. Die Freundschaft zu meiner besten Freundin Jesse. Mein Wunsch nach Freiheit.
Mein Fall wurde jäh gestoppt. Schmerz schoss durch die unteren Rippen meines Brustkorbs. Etwas hatte meinen Rumpf umschlungen. Fremde Arme. Die Luft war erfüllt von einem Geräusch, das ich nicht zuordnen konnte.
„Schließ die Augen!“ Eine männliche Stimme, die mir unbekannt war.
Klar doch. Ich wandte den Kopf, um zu sehen, wer mich festhielt. Von hier aus sah ich dunkle Haare und riesige Fledermausflügel. Oh Gott. Wie war denn das möglich? „Lass mich runter!“, schrie ich. Meine Logik hatte sich in die Tiefen der Angst verzogen.
„Hör auf zu zappeln!“
Das stellte ich sofort ein. Immerhin hatten wir einiges an Höhe gewonnen und ich konnte das Dach von unserem Haus von oben sehen. „Wer bist du? Wie ist das möglich?“ Mir kam ein erschreckender Gedanke. „Bin ich schon tot?“
„Halt die Klappe und mach die Augen zu.“
Mein Herz raste und nun rührte sich auch Dankbarkeit in mir. Ich war nicht tot – glaubte ich. Keine gebrochenen Beine. Dank eines… fliegenden Mannes? Mein unbekannter Retter setzte zur Landung an. Als wir nicht mehr weit vom feuchten Gras entfernt waren, ließ er mich jedoch prompt fallen. Ich kam unsanft auf Knien und Händen auf. „Hey!“, schrie ich und riss meinen Kopf nach oben. Vor dem Nachthimmel konnte ich aber nicht viel erkennen. Und das Geräusch der Flügel entfernte sich. Was zur Hölle?!
Ich stand allein in unserem Vorgarten. Allerdings ging gerade das Licht im Schlafzimmer meiner Eltern an. Hatten sie meine Schreie gehört? Geistesgegenwärtig schnappte ich mir den Schuh, den ich verloren hatte und rannte zum Zaun, als wäre der Teufel hinter mir her. Meine unteren Rippen pochten noch.
„Nora!“, gellte die Stimme meines Vaters durch die Nacht.
Doch ich rannte weiter. Sprang über den Metallzaun. Rannte weiter. Immer weiter. Einfamilienhäuser mit dunklen Fenstern flogen am Rande meines Sichtfeldes an mir vorbei. Hier und da ein paar Kürbisse und falsche Spinnenweben. Unmöglich zu sagen, wie viele Straßen ich hinter mir zurück ließ, bis mir die Puste ausging. Keuchend blieb ich stehen.
Allmählich wurde ich mir meiner Umgebung wieder bewusst. Dunkle Straßen in einer verschlafenen Kleinstadt. Zwischen den Lichtkreisen der Straßenlaternen lagen schwarze Schatten. Nichts rührte sich. Das Adrenalin ließ nach. Meine Logik rührte sich wieder. Was war da gerade passiert? Aber für fliegende Männer gab es beim besten Willen keine Erklärung. Also hatte ich wohl halluziniert.
Meine Gedanken richteten sich mit viel Willenskraft zurück auf die Gegenwart.
Ich war ganz allein.
Doch meine Gedanken blieben nicht lange bei der Gegenwart. Mir dämmerte, welche Folgen es haben würde, Hals über Kopf davon gelaufen zu sein. Wenn ich nach Hause zurück kam, drohten mir bestimmt mindestens einen Monat lang Hausarrest sowie Internetverbot. Kein Handy. Keine Telefonate. Hausputz und Extra-Nachhilfe bis zum Geht-nicht-mehr.
In meinem Bauch bildete sich ein kalter Klumpen.
Meine vernünftige Seite schob ihn weg. Jetzt war es sowieso zu spät. Jetzt konnte ich genauso gut zu der Halloweenparty gehen, für die ich mich rausgeschlichen hatte. Sozusagen eine Geburtstagsparty. Denn heute wurde ich sechzehn Jahre alt.
Ich beugte mich hinunter, um mir den Schuh wieder anzuziehen, wobei mir eine merkwürdige Kruste an den Handflächen auffiel. Hatte ich mich im Fall an der Hauswand verletzt? Ich meinte mich vage daran zu erinnern, auf der Suche nach Halt um mich geschlagen zu haben.
Langsam setzte ich meinen Weg zum Friedhof fort. Eine Weile schlenderte ich durch die leeren Straßen und versuchte dabei, nicht allzu viel nachzudenken. Ein kühler Wind fuhr durch den schwarzen Stoff des knappen Kleides, das ich trug, und bereitete mir eine Gänsehaut. Um mich herum lag alles wie ausgestorben da. Hier und dort gab es ein bisschen Halloweendeko. Neben den Spinnweben aus Kunststoff auch unechte Skelette und die obligatorischen Kürbisse. Die darin hineingeschnitzten Gesichter waren in der Dunkelheit kaum zu erkennen.
Ich schlang die Arme um mich und setzte meinen Weg zum Friedhof fort. Jesse hatte mir erzählt, dass unser ganzer Jahrgang dort heute Nacht feiern wollte. Und zum aller ersten Mal in meinem Leben würde ich auch bei einer Party sein.
Ein aufregender Gedanke – nur der Ort störte mich. Es war ziemlich daneben eine Party auf einem Friedhof zu veranstalten, Halloween hin oder her. Andererseits würde ohnehin keiner auf mich hören. Die Wahl bestand zwischen hingehen oder nicht-hingehen. Und weil ich nicht so brav war, wie Jesse immer behauptete, war klar, was ich tun musste. Etwas Verbotenes.
Wind kam auf und erzeugte ein heulendes Geräusch zwischen den Häusern und Bäumen. Hin und wieder meinte ich ein Geräusch zu hören, das nicht dazu passte. Aber das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein.
Endlich kam die zwei Meter hohe Hecke in Sicht. Dahinter lag der Friedhof. Keinerlei Beleuchtung. In meinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Trotzdem ging ich weiter. Das Friedhofstor lag verlassen im Halbschatten. Wo waren meine Mitschüler?
Zögerlich legte ich meine Hand auf das kalte Metall der Klinke. Es brannte auf der Wunde in meiner Handinnenfläche. Ich schob das Tor auf. Die Scharniere quietschten entsetzlich laut. Noch immer war keine Menschenseele zu sehen. Allmählich begann ich an mir zu zweifeln. Hatte ich den Ort für die Party falsch verstanden? Da es keine Laternen gab, war das Gelände, das ich nun betrat, stockfinster. Langsam ging ich weiter. Mit jedem Schritt knirschte der Kies. Meine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt.
Etwas sprang mich an.
Ich schrie so laut, dass mein eigenes Trommelfell fast platzte. Im Halbschatten erkannte ich zwei meiner Klassenkameraden. Sie bogen sich vor Lachen. „Haha“, sagte ich sarkastisch. „Sehr lustig.“
Der eine rieb sich gerade die Tränen aus den Augen und kam allmählich zu Atem. „So habe ich noch nie jemanden kreischen gehört. Großartig!“ Er nahm mich genauer in Augenschein. „Bist du überhaupt auf unserer Schule?“
Eine dritte Person trat aus dem Schatten zu uns. Sie zischte: „Seid still ihr Idioten! Sonst werden wir noch erwischt.“
Erleichterung machte sich in mir breit. Die Stimme erkannte ich unter tausenden. Erleichtert fiel ich Jesse um den Hals.
„War ja klar, dass du diejenige bist, die hier so einen Krach macht.“ Trotz ihrer Worte erwiderte sie meine Umarmung zärtlich. Jesse war eines dieser rotzfrechen Mädchen, die sich nie an Regeln hielten oder sich irgendetwas vorschreiben ließen. Weshalb sie ausgerechnet meine beste Freundin war, blieb ein Geheimnis.
Sie löste die Umarmung auf und grinste mich an. Ihr scharf geschnittenes Gesicht war von einer dicken Schicht Make-Up bedeckt. Ihre blauen Augen funkelten mich abenteuerlustig an. Sie nahm mich am Handgelenk und führte mich tiefer auf das Friedhofsgelände. Weg von den Idioten. In den vielen Schatten der Gebüsche und Gräber meinte ich ständig irgendetwas zu sehen. Als ob dort jemand herumschlich. Einbildung. Trotzdem fühlte ich mich beobachtet. Weit genug weg vom Friedhofstor tauchte einen warmer Lichtschein auf. Je näher wir ihm kamen, desto lauter wurden Stimmen und Gelächter. Menschliche Silhouetten liefen vor dem Lichtschein herum.
Ein Lagerfeuer? Ernsthaft? Auf einem Friedhof? Es war so klein, dass man von draußen nichts sah, zumal zahlreiche Büsche und Bäume dazwischenstanden. Und die Leute hatten so viel Menschenverstand bewiesen, um das Feuer auf einem der Kieswege zu entzünden – mit genug Entfernung zur nächsten brennbaren Pflanze – aber trotzdem… Hatten meine Mitschüler denn gar keinen Respekt vor den Toten?
Wenn die Polizei uns erwischte, würde es einen riesigen Ärger geben.
„Hör auf so grimmig zu gucken, du Spießerin!“ Jesse hatte meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet und schnippte mir nun gegen die Nase.
Ich zuckte vor dem Schmerz zurück.
Sie wirkte kein bisschen besorgt. Wir gingen zu einer Bank, auf der Wein- und Bierflaschen aufgereiht waren. Außerdem gab es Chipstüten und Plastikbecher.
Jesse füllte einen Becher mit Wein und drückte ihn mir in die Hand. Sie zwinkerte mir zu. „Alles Gute zum Geburtstag, du ungezogenes Mädchen.“
Hitze stieg mir in die Wangen, während ich mit ihr anstieß. „Erst Spießerin und jetzt ungezogen?“
Obwohl mir noch immer nicht ganz wohl war, zupfte ein Grinsen an meinen Lippen, das ich nicht unterdrücken konnte. Ich nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. Was ich sofort bereute. Das Gesöff schmeckte einfach nur sauer und ekelhaft. Kein Vergleich zu dem teuren Wein, den meine Eltern tranken und von dem ich zu Feiertagen ein Glas probieren durfte.
Eine laute, lallende Jungsstimme hallte über uns hinweg. Wir sahen uns um. Jemand stand auf einem Grabstein. Auf-einem-verdammten-Grabstein. In der Großspurigkeit eines betrunkenen Jugendlichen verkündete er: „Meine liebm Mitschüler! Wir ham uns hier versammelt… “ Für einen Moment schien es, als hätte er den Faden verloren, doch dann fuhr er fort: „Nicht nur um zu feiern.“ – Einzelne Buhrufe ertönten – „Nicht NUR um zu feiern! Sonnern auch für ein janz besonnre Verrücktheit. Liebe Mitschüler! In disser Halloweennacht wern wa eine Beschwörung durschführn! Lasst uns ein Dämon beschwörn!“ Aufgeregtes Murmeln ertönte. Manche klatschten.
Ich dachte an den Mann mit Flügeln und verdrängte das sofort. Da war kein Mann gewesen. Das war nämlich unmöglich. Ohne mein aktives Zutun murmelten meine Lippen ein verächtliches „Schnapsidee“.
Doch Jesse wirkte begeistert. Einige Jungs begannen schon eine große Fläche Kiesweg glatt zu trampeln. Jesse ging zu ihnen und zückte ihr Handy. Im weißen Licht des Displays erstrahlten ihre scharf geschnittenen Gesichtszüge auf eine gruselige Art und Weise. Trotzdem sah sie hinreißend aus.
Ich nahm einen weiteren Schluck aus dem Plastikbecher. Wenn das hier eine Party war, war sie den Hausarrest, der mich erwartete, definitiv nicht wert. Mein Adrenalin-induziertes Hochgefühl verrauchte. Ich fühlte mich unwohl und fehl am Platz und schämte mich für unsere Respektlosigkeiten auf dem Friedhof.
Jesse riss mich aus meinen Gedanken, als sie von drüben aufgeregt rief: „Ich hab was gefunden!“
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wieder hatte ich das Gefühl beobachtet zu werden. Ich sah mich um. Niemand von meinen Mitschülern blickte in meine Richtung. Es musste die Aufregung sein, die mir Streiche spielte.
Jesse und die anderen ritzten ein Muster in die glatte Fläche, die sie geschaffen hatten. Wie bei allem, was Jesse interessierte, loderte sie in ihrem perfektionistischen Eifer. Unter ihrer Anleitung entstand ein Hexagramm wie mit dem Lineal gezogen. Über jeder Spitze des Sterns ritzte sie ein anderes, fremdartiges Symbol ein.
Immer mehr meiner Mitschüler versammelten sich um das Geschehen und versperrten mir Stück für Stück die Sicht. Ich schaute in meinen Plastikbecher und verzog angewidert das Gesicht. Enttäuschung stieg auf. Diese Party war einfach nur blöd. Ich verstand nicht, warum meine Klassenkameraden gerne auf solche Veranstaltungen gingen. Je länger ich herum stand, desto kälter wurde mir. Irgendjemand begann damit, laut einen Text auf Latein vorzutragen. Ein anderes Geräusch drang an mein Ohr. Rascheln in den Hecken? Plötzlich verstummte Jesse und für einen kurzen Augenblick lag vollkommene Stille über dem Friedhof. Ich wollte schon nachsehen was allen die Sprache verschlagen hatte.
Dann schrien alle. Hysterisches Kreischen, Angstschreie. Ehe ich mich versah, waren alles und jeder in Bewegung. Meine Mitschüler rannten in alle Richtungen davon. Kopflose Flucht. Nur einige wenige konnten sich nicht rühren, sondern standen wie paralysiert an Ort und Stelle. Irgendjemand rempelte mich so hart an, dass mein Becher zu Boden fiel, und der restliche Wein wie Blut über den Kies spritzte.
Endlich erblickte ich das, was alle anderen so in Panik versetzt hatte: Eine Gestalt stand im Hexagramm.
Sie war nicht menschlich.
Das Wesen war geschätzt zweieinhalb Meter groß. Aus seinem Kopf ragten zwei riesige, nach hinten gebogene Hörner. Statt Händen und Füßen besaß es Klauen.
Ach du scheiße. Die Gestalt blickte sich um. Ihre gelben Augen leuchteten. Als der Kopf sich mir zuwandte, hob es langsam einen Arm und deutete mit einer Kralle in meine Richtung.
Die Stimme des Untiers rollte wie ein Gewitter über den Friedhof: „Ich rufe dich, Tochter der Nacht!“ Warum zeigte es auf mich? So schnell ich konnte, wirbelte ich herum und rannte um mein Leben. Doch ich war noch keine drei Schritte weit gekommen, als mich etwas von oben packte und mit sich riss. Meine Füße verloren den Kontakt zum Boden. Ich flog erneut. Und meine Rippen schmerzten.
Als ich nach oben sah, erblickte ich riesige Fledermausflügel und das Gesicht eines Jungen. Im nächsten Moment ließ der Mistkerl mich los. Ich fiel mitten ins Hexagramm, das jetzt in Flammen stand. Ich erwartete den Schmerz von Verbrennungen – prallte jedoch unbeschadet auf dem Boden auf. Verblüfft öffnete ich meine Augen, die ich unbewusst zugekniffen haben musste. Das Feuer war verschwunden. Genau wie der Friedhof.
Zu Kapitel 2 (sobald online):
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Ein Kommentar zu „Erstes Kapitel: Halloween“